Donnerstag, 26. Januar 2012

Ach ja, der Jatz...

In der SZ vom 21/22. Januar war ein Artikel eines deutschen Jazzmusikers, den mir ein Bekannter zuschickte. Die Lektüre der ersten beiden Absätze reichte aus, um meinem netten Bekannten zu schreiben:

Hallo Peter. Danke wiedermal, für einen Artikel aus der SZ, den ich tatsächlich nicht online fand: "Betriebsstörung. Der Jazz hat in Deutschland keine gesellschaftliche Relevanz mehr".

Schon das überflüssige "mehr" am Ende der Überschrift fiel mir auf. Ansonsten: Eine seltsame Klage eines offenbar wenig Erfolgreichen. Kennt man auch von Musikern anderer Musikrichtungen. Kennt man auch von Leuten in anderen Berufen: Es ist ja alles so furchtbar schwer.

Zum Beispiel:
Der Autor wundert (oder ärgert?) sich über die Organisation von Konzerten in entweder Konzerthallen oder in Clubs/Restaurants, ...weil: "Beide Bereiche werden nicht von den Musikern selbst verwaltet, sondern von Veranstaltern, Redakteuren, Journalisten, Verlegern und kleinen Labels."
Ich dachte immer, es sei normal, dass Veranstaltungen von Veranstaltern durchgeführt ("verwaltet"?) werden. Dass Redakteure oder Verleger, gar Friede Springer oder Herr Burda? Kiepenheuer & Witsch? Diekmann? Prantl? ...dass diese mehr oder auch weniger sympathischen Menschen & Firmen Konzerte "verwalten", ist mir allerdings neu. Nee, glaub' ich auch nicht.
Dann seine Klage, dass in Restaurantbetrieben (!), Clubs, etc. nur noch DJs Platten abspielen, anstatt dass dort lebendige Musiker (wie er) die Leute gegen Bares unterhalten. Hm. Stimmt. Aber gibt's diese Klage nicht schon sehr lange? Genau genommen seit sieben Jahrzehnten? Oder gar noch länger, zum Beispiel wg. durchschlagendem Erfolg von Schallplatte und Radio seit etwa 90 Jahren. Und TV seit etwa 40, 50 Jahren ...
Der Mann kommt knapp sieben Jahrzehnte zu spät mit seinem Lamento und er kennt seine Jazzgeschichte nicht. Wegen gleicher Misere (damals waren's die neumodischen Jukeboxen in den amerikanischen Pinten) hat die amerikanische Musikergewerkschaft über zwei Jahre lang gestreikt: Vom 1. August '42 bis Ende '44 durften keine Instrumentalisten bei Plattenaufnahmen spielen, seitdem ist da ein zweijähriges Loch in allen Jazzdiscographien :-) ... es war aber auch die Stunde der a-capella-Vocal-Ensembles! Und gleich danach gab's dann die doppelte musikalische Revolution: der moderne Jazz - Bebop - kam. Und viele kleine independent Label machten den vier Großen Konkurrenz. Alles fließt, alles ändert sich andauernd.

Ergo: alles schon mal dagewesen. Es ist der übliche Gang der Dinge, hier wieder mal durch technische und gesellschaftliche Innovationen und Veränderungen. Vielleicht sollte man dem (mir völlig unbekannten) Herrn "Saxophonist, Komponist und Musikproduzent" mal erzählen, was in der übrigen Arbeitswelt seit Jahren passiert. Ob er schon mal von Hartz 4 gehört hat? ...und wieviele Millionen sich mit der Arbeitslosenverwaltungsbehörde permanent rumschlagen müssen? Nicht nur in Deutschland. Oder muss man ganz einfach anfangen und ihm von der Klage der Pferdedroschkenkutscher erzählen, als die ersten Autos und Straßenbahnen aufkamen?

Dann les ich da: "Ein einstündiger Auftritt bedeutet für einen Bandleader fünf Stunden Organisationsarbeit."
Und für 5 Minuten ebenso. Und für ein Mammutkonzert von zehn Stunden ebenso. Und wieviel Stunden Vorbereitung die Rolling Stones erst... Ach was!? (cit. Loriot).
Aber was anderes ist hier interessanter: Oben erklärt (beklagt?) er noch, dass Konzerte Außenstehende "verwalten". Und nun muss er doch alles ganz alleine machen, der Arme? Wat denn nu?
Dass jeder im Leben (vor allem der Selbständige. Auch ich!) seinen Job organisieren muss, Bürokratiekram erledigen, sein Zeugs in Ordnung halten, seine Finanzen klären, telefonieren, Rechnungen bezahlen muss, und dass auch andere irgendwie zur Arbeit gehen/fahren müssen (das aber dann regelmäßig, tagtäglich!) ...
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Du wirst verzeihen, Peter, ich hab den Sermon dann nicht weiter gelesen; die beiden ersten Absätze reichten mir. Wahrscheinlich wäre dann diese Mail noch viel länger geworden :-)

PS, und generell: Der Jazz wie ich ihn kenne und mag, war wichtig, allerdings nur bis etwa 1970. Er war zuvor sogar zwei Jahrzehnte lang sehr erfolgreich und begeisterte Millionen, eine ganze Generation. Danach kam nix Neues mehr, jedenfalls nicht im Jazz. Oder das Jazz-Neue war dermaßen, dass ich verstehe, weshalb niemand mehr zuhören mochte. Allerdings hatte zumindest der Blues noch sehr viel länger großen Einfluss auf die aktuelle Musik, besonders im England der Sixties und dann in Europa. Doch das ist 'ne andere (erlebte) Geschichte.

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