Sonntag, 27. Februar 2011

Musik & Botanik

Wir waren gestern Abend (wie schon an den vorigen Wochenenden) in einem Konzert, oder "Livekonzert" wie die Journallie immer redet und druckt.
Hier im Botanischen Garten gibt's jedes Jahr im noch kalten Februar vier Wochenenden mit Musikern, die in den verschiedenen recht angenehm temperierten Schauhäusern des Gartens jeweils zweimal eine dreiviertel Stunde spielen; leider immer alle zur gleichen Zeit. Deshalb heißt es auch "Wandelkonzerte"... (Gab's auch mal im Berliner Tiergarten, als der noch besuchbar war; vier Jahrzehnte wird das aber auch schon her sein).
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Gestern: Wie schon am Wochenende zuvor, ein Chor (naja... der Brahms war nett. Aber leider war da auch eine lange & gutgemeinte Eigenkomposition: man versuchte, "modern" zu sein); eine klassische Gitarristin (freundlich & gut) dort, wo am letzten Weekend eine junge Geigerin ebenfalls recht sauber sologeigte: zwischen Kakao-, Kokos- und Papayabäumen; im Kakteenhaus lauschten wir einem Trio mit Schalmei, Laute und Hackbrett (orientalisch/spanisch, aber auch ein Titel von Oswald von Wolkenstein:) exzellent & laut, wir haben sogar etwas dazu getanzt und gealbert. Wenn keiner zusah. Letzte Woche waren an gleicher Stelle zwei Fagotte... Fagotts? Fagötter? Auf jeden Fall auch wunderbar! Im mollig feuchtwarmen Farnhaus: ein Percussion-Duo (naja, klipper-klapper-klopp-klopp, klang wie ein übender Steve Reich vor 40 Jahren); die Harfistin im Mittelmeer-Raum haben wir uns diesmal gespart, wir hatten Harfen schon reichlich am Wochenende zuvor (New Age-artiges Impressionistisches für Damen). Beim allerersten Wandel-Konzert vor ein paar Jahren war in diesem schönen Haus eine tolle (!) Solo-Cellistin mit Bachs Cello-Sonaten nett anzusehen und anzuhören.
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Die Atmosphäre ist immer recht gut, so auch gestern; wenn da nicht ab & an ein paar aufgetakelte, parfümierte und dazu noch laut quasselnde Weiber wären (und das bei akustischer Gitarre! Sogar die kleinen Kinder waren leise). Aber es ist ja ein Wandelkonzert, man kann dann weitergehen...

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Interessant.
Wenn schon die Botanik da ist, wäre es doch naheliegend, da John Cages "Child of Tree" für mikrophonverstärktes Pflanzenmaterial aufzuführen.

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"Modernes" wird vom Publikum nicht so geliebt und mittlerweile hab ich dafür großes Verständnis. Ich würde dann auch nicht hingehen.
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Einige Musiken bei den Konzerten hatten durchaus Bezug zu der Botanik: Die Nelke, von Sibelius, dann irgendwas mit der Jahreszeit und der erwachenden Natur, undsoweiter.
In den letzten Jahren gab's noch mehr solche Pflanzen-Titel (dies "Naheliegende" war wahrscheinlich vom Veranstalter vorgegeben). Aber auch Musiker wissen: "ein und dieselbe Musik kann ganz verschiedene Dinge ausdrücken" erklärte Leonard Bernstein in seinen "Konzerten für junge Leute"; welche Musik wird zum Beispiel in Cowboyfilmen gespielt, wenn die Kavallerie anreitet, um die Siedler im letzten Moment vor Indianern zu retten? Die "Wilhelm Tell" Overtüre. Was aber hat der schweizer Volksheld damit zu tun? ...und was Rossini mit Hollywood-Western? Passt trotzdem. Oder Peer Gynt: Ein beliebter Hit daraus wird immer mit nordischer Kälte assoziiert (besonders auf den Plattencovern) dabei "spielt's" in der afrikanischen Wüste. Etc.
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Titel sollte man also nicht zu Ernst nehmen, sie sind meist nur eine nette Spielerei (Cage war vielleicht auch ein kleiner Spaßvogel. Hoffe ich jedenfalls!) und sie sind eine gute Eselsbrücke, um sich die Stücke zu merken. Ich find "Titel" gut.
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Cage war kein Spaßvogel, er nahm seine Arbeit sehr ernst.
Aber es störte ihn nicht, wenn die Leute über seine Musik lachten. Darauf angesprochen, sagte er mal, es sei ihm lieber, die Leute lachen als sie weinen.
Ich glaube übrigens nicht, dass Musik zuverlässig etwas "ausdrücken" kann oder überhaupt sollte. Was der eine entspannend findet, findet der andere nervig. Was der eine heiter findet, findet der andere traurig. Die Menschen sind alle verschieden, die Hörer sind alle verschieden.

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Nur dies kann Musik darstellen resp. auslösen: Trauer, Freude, Angst, Frieden, Schmerz, Einsamkeit, Glück, Liebe, Zorn, Aufregung.
Eine "heitere" Musik wird wohl kaum jemand "traurig" finden, eine "friedliche" Musik kaum jemand "nervig". (Zugegeben, es wird immer ein paar Ausnahmen von einer Regel geben).
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Was Musik nicht kann, ist eine "Beschreibung": Bilder zeigen oder Geschichten erzählen. Auch wenn manche Titel das behaupten.
Die "Mondscheinsonate" hätte man aber auch Großbeeren erwacht oder Der Clown popelt nennen können, und man würde sicher auch genau dies hören.
Oder die bereits erwähnte "Wilhelm Tell"-Overtüre, die könnte genauso gut Die Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan oder The Lone Ranger heißen. Ein und dieselbe Musik kann ganz verschiedene Dinge ausdrücken, erzählen, bebildern. Aber das "Gefühl" kommt wohl immer rüber, s.o.: Trauer, Freude... etc.
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Die Bedeutung der Musik liegt in der Musik selbst und sonst nirgends. Nicht umsonst steht auf meiner kdm-Site der Stravinsky-Spruch: "Music is just notes. What you speculate beyond that, is pure nonsense."
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Der Stravinsky-Spruch ist korrekt.
Ansonsten gibt es da aber viele Illusionen. Musik löst oft starke Emotionen aus, das ist völlig richtig. Aber das heißt nicht, dass es unbedingt die Emotionen sind, die der Komponist im Sinn hatte.
Was als heiter, traurig und friedlich empfunden wird, ist bei näherem Hinsehen ein soziokultureller Code und nicht unbedingt musikimmanent.

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Oh ja, ganz sicherlich hör' ich Musik anders: mir ist es schnurz, ob (m)ein soziokultureller Code systemimmanent ist :-)
Ich kenne wenige keine Musiker und Hörer, die dabei solche abstrakte Ideen haben, wenn sie Musik machen oder hören. Aber auch die mag es geben. Sollen sie.
Aber ist das dann noch Musik? Und hat solche Musik und solche Art Musikhören noch den Sinn, den sich die Menschen von Musik wünschen? Ich hatte oben ein paar Mal die Ideen von Leonard Bernstein wiedergegeben, der lachte oder weinte sicher auch bei Mahler. Wie ich. Und ob Theoretiker (die nicht weinen oder lachen?) das als systemimmanenten soziokulturellen Code ansehen, ist uns egal. Uns berührt's.
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Eben das meine ich ja. Bernstein und wir, das ist alles der gleiche abendländisch-europäische Kulturbackground.
Die Frage ist aber, ob auch ein (hypothetischer) noch nie mit dieser Tradition in Berührung gekommener Eskimo oder ein ebensolcher zentralafrikanischer Buschmann bei den gleichen Mahler-Stellen weinen würde.

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...oder ein Marsbewohner.

Absurde Vergleiche helfen immer aus, wenn man die Realität nicht...

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