Mittwoch, 24. Februar 2010

Kulturradio

Heute in einem "Kultur"-Radiosender wird eine Sängerin erwähnt, die "wohl kaum noch jemand kennt" (behauptet jedenfalls der Sprecher), Billie Holiday, und dieser Legende (1915-1959) ist ein gaaanz tolles neues Album einer aktuellen Sängerin gewidmet.

Von dieser aktuellen CD wird er, der Sprecher, jetzt ein Lied spielen, das mit Billie Holidays Namen verbunden ist: "All of Me". ... Hä? Diesen berühmten Evergreen hatte während der letzten knapp 80 Jahre doch JEDER Sänger (und jede Band und jeder Barpianist) im Repertoire, was hat speziell meine geliebte Billie Holiday damit zu tun? Ich kann's verraten: Nicht viel. Lady Day hat's natürlich auch gesungen, so, wie sie auch viele andere standards sang. Tja, wenn's "I Love My Man" oder "Strange Fruit" wäre, DAS sind genuine B.H.-songs, die mit ihrem Namen verbunden sind. Aber...

Aber es wird noch komischer. Er legt also von der CD "All of Me" auf und was höre ich überdeutlich? Ich glaub's fast nicht: eine Ella-Fitzgerald-Imitation, ja fast schon -Parodie. Nix, kein Ton, keine Phrasierung, nicht mal die Stimme, gar nix erinnert an Billie Holiday und natürlich hat Lady Day auch nie Scat gesungen!

Der Mann hat weder Ahnung noch Ohren. Aber einen Job im Kulturradio des rbb. Und vielleicht war gerade das nette Promotion-Mädel der Plattenfirma bei ihm.

Wäre das kein Radio-Mensch sondern ein schreibender Journalist, hätte er warscheinlich über "Billy Holliday, die berühmte Bluessängerin" geschrieben.

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Es gab tatsächlich mal ...
... in den 90ern eine Sängerin, die mich in ihrer Intonation extrem an Billy Holliday erinnert hat, nämlich Nicolette. Hatte eine spannende Scheibe ("Let No One Live Rent Free In Your Head"), bevor sie fast zehn Jahre in der Versenkung verschwunden ist. Spannend vor allem deswegen, weil sie musikalisch in eine ganz andere Richtung tendierte: Düstere, technoide Elektronik.

Mich würde aber mal interessieren, ob Dir als Billy Holliday-Liebhaber die Scheibe zusagt, die Margaret Kammerer als Homage aufgenommen hat: http://www.discogs.com/Ruby-Ruby-Ruby-The-Shadow-Of-Your-Smile/release/1807960

Kammerer macht nämlich nicht mal den Versuch so zu klingen, wie das Original und gerade deswegen klingt es für mich überzeugend... Ich kann nur gerade nirgendwo im Netz ein Klangbeispiel für das Album finden...

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Kopien
Ironie erkannt (war doch ironisch, oder?): "Billy Holliday" und das "spannend"...

Nee, tut mir leid, ich kenne weder eine "Nicolette" noch eine Frau Kammerer.

Den bekanntesten Versuch, Billie Holiday nachzueifern, gab's vor drei (?) Jahrzehnten von Diana Ross: ein Desaster, auch bei der Musikpresse. Jedenfalls hat Diana Ross nicht wie Ella gesungen und Journalisten haben nicht Ella mit Billie verwechselt.

In Berlin lebte eine türkische Jazzsängerin, die hat ihre "Billie Holiday" ganz gut hinbekommen; ich sah' ihren ersten (?) Auftritt im Cafe Einstein, wo sie ein intimes "Billie Holiday-Konzert" gab (das war in einer Zeit als es nur das eine, originale EINSTEIN gab und ich dort ein wenig für die Musikberieselung zuständig war).

Unter den vielen neuen und heftig beworbenen Jazzsängerinnen klang eine auf ihrem ersten Album schon fast penetrant nach der jungen, "naiven" Lady Day: Madeleine Peyroux. Soweit ich weiß, reitet die noch immer auf dem Billie-Holiday-Ticket. Aber ich mag mich irren, sooo sehr interessiert mich all das nicht, denn:

...wieso soll ich mir Kopien anhören, wenn ich doch das Original jederzeit von meinen CDs hören kann?

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Sehe ich genau so ...
... wobei man der Fairness halber manchen Sängerinnen auch zugestehen muss, eben nun mal ohne wirkliche Absicht genau so zu klingen wie Holiday (genau wie eben auch Instrumentalisten schon mal unbewusst ähnliche Techniken entwickeln wie berühmtere/bekanntere/erfolgreichere Kollegen). Dass ihnen dann nachher von der Plattenfirma der Stempel aufgedrückt wird, ist natürlich eine ganz andere Nummer ;-)

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Dass die pösen pösen Plattenfirmen den armen armen Künstlern irgendwas unterjubeln was sie garnicht wollen, ist eine Legende. Ich bin seit 40 Jahren dabei und kann sie nicht bestätigen.

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Ich habe schon verschiedene Interviews geführt, bei der ich mich zusammen mit dem Künstler über gleich mehrere Vergleiche im Presstext gewundert habe, die einfach nicht stichhaltig und gewiss auch nicht gewollt waren. Das muss ja auch nicht an Pösheit liegen (ich mag dieses uninformierte Label-Verdammen auch nicht), sondern vielleicht einfach auch daran, dass manche Musiker sich aus solchen Sachen bewusst raushalten...

Ist aber vielleicht hier nicht der richtige Ort, das zu diskutieren ;-)

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Sache des Musikers ist es, gute Musik zu machen. Sache der Plattenfirma ist es, möglichst viel Platten zu verkaufen. Der Musiker kann verschiedene Gründe haben, beim Verkauf (etc.) mitreden zu wollen oder dies bewusst sein zu lassen. In den meisten Fällen ist er eigentlich nur an seiner Musik interessiert und was dabei letztlich für ihn rausspringt. (Ich meine immer ganz altmodisch: "echte" Künstler; nicht künstliche Figuren, die sind mir schnuppe).

Ja, es führte zu weit, all dies HIER erklären zu wollen. Zumal wir beide hier alleine sind :-)

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